Montag, 24. Januar 2022

Grünliberale bestürzt über Missstände im Sozialbereich

Geschätzte Anwesende im Saal und online am Bildschirm

Der Anlass für die heutige GR-Sitzung hat eine positive Seite, leider aber auch eine ganze Reihe unschöner Aspekte. Positiv ist, dass wir nach Jahren der Unsicherheit, Vermutungen und teils heftigen Auseinandersetzungen zu Vorgängen im und Vorwürfen zum Bereich Soziales endlich Klarheit über die Vorgänge im Bereich Soziales haben. Wir haben bereits in der Vergangenheit deren Aufarbeitung für eine konstruktive Problemlösung und einen Neuanfang gefordert und haben daher eine Administrativuntersuchung sehr begrüsst.

Wie die nun vorliegenden Erkenntnisse zeigen, war diese Untersuchung unter der Leitung eines erfahrenen Juristen absolut notwendig. Leider – und jetzt kommen wir zu den unschönen Seiten – waren die Missstände deutlich schlimmer als befürchtet. Als Fraktion sind wir über das Resultat äusserst bestürzt. Einerseits über das Ausmass, das weit über den Umgang mit Klientinnen und Klienten hinausgeht. Anderseits über die Art der Fehlverhalten und deren Ausprägung. Man fragt sich, wie konnte es überhaupt soweit kommen?

Aufgrund der Komplexität und des Umfangs der Untersuchungsergebnisse, die bereits von der Spezialkommission vorgestellt wurden, möchten wir nicht auf alle inhaltlichen Punkte und Details eingehen, sondern nur die für uns wesentlichsten Aspekte aufgreifen.

Was genau bei den verantwortlichen Akteuren zu ihrem Verhalten und ihrem Handeln in der Sozialhilfe und Asylbetreuung geführt hat – ob es sich dabei um eine unglückliche Verkettung von Zufällen, Fehlern, Unfähigkeit, Führungsschwäche oder Naivität gehandelt hat oder auch eine gewisse politische Grundhaltung resp. Kultur dahinterstand, wie dies gewisse Kreisen vermuten –, lässt sich aus dem Bericht nicht eindeutig erschliessen, sondern allenfalls vermuten. Es ist aber offensichtlich, dass in diesem Bereich sehr viele Dinge auf einmal schiefgelaufen sind.

In der Führung der Abteilung Soziales ist seit Jahren ein gleiches Muster feststellbar. Nach Aussen wahrnehmbar war dies vor allem durch die vielen an die Ombudsperson, einige Lokalpolitiker sowie an die Medien gerichteten Beschwerden der Hilfesuchenden. Für uns ist ein diskriminierender, respektloser und rechtsverletzender Umgang mit einem Teil der Klientel ein absolutes No-Go und mit unserer eigenen Haltung unvereinbar. Der Eindruck, dass eine gewisse Systematik der Durchsetzung einer politischen oder persönlichen Grundhaltung oder einer bestimmten Zielsetzung diente, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Es fällt schwer zu glauben, dass alle geschilderten Vorkommnisse nur Zufall waren.

Was der Bericht in diesem Zusammenhang auch offenlegt und uns grosse Sorgen bereitet, ist, dass unser bestehendes politisches System von Checks and Balances – d.h. Kontrolle und Ausgleich – ganz offensichtlich versagt hat, sowohl in personeller als auch in fachlicher Hinsicht. Im Endeffekt konnten der ehemalige Leiter Soziales und die ehemalige Leiterin Sozialhilfe mehr oder weniger ohne Kontrolle und Aufsicht selbständig agieren. Die politischen Akteure hingegen blieben lange Zeit weitgehend passiv. So wusste die eine Seite oft nicht, was die andere wusste oder machte oder konnte nicht agieren. Wesentliche Gründe dafür sind wie bereits erwähnt u.a. die unklare Abgrenzung bzw. Überschneidungen der Aufgaben und Zuständigkeiten von Stadtrat und Sozialbehörde sowie unkontrollierte Delegationen. Die festgestellte unkritische und vertrauensvolle Nähe der Sozialvorstandschaft zum Kader hat wohl ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen. Offenbar wurde der wichtige Grundsatz zu wenig beachtet, dass zwar Aufgaben und Kompetenzen delegiert werden können, nicht jedoch die Verantwortung der zuständigen Organe. Das heisst: Die Aufsicht und die oberste Verantwortung verbleibt auch bei einer Aufgabendelegation bei der Sozialbehörde.

In diesem Zusammenhang irritiert uns, dass die Sozialbehörde in der Aufgabenerfüllung und den Abläufen faktisch keine aktive eingreifende und mitgestaltende Rolle wahrgenommen hat. Dies erstaunt angesichts der gesetzlich zwingenden Funktionsteilung zwischen Stadtrat und Sozialbehörde sowie der ihr aufgrund der eigenen Geschäftsordnung obliegenden Verantwortung für Planung, Aufsicht und Vollzug. Wir sind ferner überzeugt, dass auch die Doppelrolle der Sozialvorstandschaft als Präsidentin resp. Präsident der Sozialbehörde und gleichzeitigem Mitglied des Stadtrats ein wesentlicher Problempunkt war. Insbesondere wegen der Machtkonzentration und Informationssteuerung in einer Person sowie der ungelösten Zuständigkeitsfragen. Wir sind daher froh, dass die Sozialbehörde aufgrund der neuen Gemeindeordnung künftig als eine dem Stadtrat unterstellte Kommission fungiert. Diese Änderung ermöglicht es dem Stadtrat, in seiner Führungsfunktion auf Strukturen, Organisation und Abläufe mehr Einfluss zu nehmen und vor allem auch bessere Einsicht zu erhalten. Die inhaltlich fachliche Aufgabe gemäss Gesetz obliegt selbstverständlich den Kommissionsmitgliedern. Die Spezialkommission macht hier dem Stadtrat verschiedene Empfehlungen zur Ausgestaltung dieser Kommission, die wir allesamt befürworten. Wir sehen den Stadtrat klar in der Pflicht, hier nun eine neue Struktur zu schaffen. Dabei soll den Erfahrungen aus der Vergangenheit Rechnung getragen und solche Probleme in Zukunft verhindert werden, damit die Kontroll- und Aufsichtsfunktion auch effektiv wahrgenommen werden kann. Dies wird angesichts der verschiedenen Vorgaben auf legislativer und Verordnungsebene einerseits und Ansprüchen diverser Interessengruppen anderseits nicht einfach sein. Aber der Stadtrat muss sich dieser Herausforderung stellen. Entscheidend für eine gute Lösung wird eine adäquate Organisation und Kontrolle der Fach- und Personalführung sein.

Ebenfalls konsterniert sind wir darüber, dass die Grenzen des rechtlich und administrativ Erlaubten nicht nur ausgereizt, sondern sogar überschritten wurden, wie die Nichtbeachtung bzw. diversen Verletzungen von rechtlichen Vorgaben und Regelwerken zeigen. Und dies offensichtlich nicht nur aus Versehen, sondern teilweise bewusst, wie bspw. beim Einsatz der Sozialdetektive oder auch beim Amtsgeheimnis. Ein derartiger Umgang mit rechtlichen Vorgaben ist für uns stossend und inakzeptabel. Wir sehen daher einen deutlichen Bedarf an Professionalisierung: Insbesondere müssen interne Controlling-Massnahmen installiert werden, die greifen, es braucht Standards und Abläufe. Ein Rechtskonsulent bzw. eine Rechtskonsulentin, wie sie im Bericht empfohlen wird, könnte hier einiges verbessern. Auch andere grössere Städte wie bspw. Wetzikon und Zürich kennen das bereits. Eine solche Person kann nicht nur den Stadtrat in rechtlicher Hinsicht unterstützen und beraten, sondern auch für alle städtischen Angestellten im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit Ansprechperson bei Fragen sein. Auch könnte diese Person verbindlich in Abläufe eingebunden werden, so dass sie beispielsweise verwendete Formulare auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüft. Denn es ist elementar für den Rechtsstaat, dass die öffentliche Hand selbst das Recht einhält, hier gilt eine Nulltoleranz. Zudem sollen soweit möglich auch rechtliche Konsequenzen gezogen werden, z.B. Strafanzeigen v.a. bei Offizialdelikten wie Amtsgeheimnisverletzungen, aber auch zivilrechtliche Schritte geprüft werden.

Auffallend und bedauerlich ist, dass in der Untersuchung durch Rechtsanwalt Poledna relativ viele Personen eine Befragung abgelehnt haben. Das mag bei gesundheitlichen Gründen noch verständlich sein, lässt jedoch in diesem Ausmass den Beigeschmack entstehen, dass die Untersuchung nicht allumfänglich sein kann, sondern gewisse Vorgänge unaufgeklärt bleiben.

Insbesondere fällt auf, dass auch der frühere Sozialvorstand inhaltlich nur sehr wenig zur Untersuchung beigetragen hat, obwohl ein Grossteil der Strukturen, Zuständigkeiten, Prozesse und Abläufe sowie die Kultur im Bereich Soziales bereits in den vorhergehenden Legislaturen so praktiziert wurden, also auf seine Amtszeit zurückgehen. Die Mängel in unserem System nahmen ganz offensichtlich bereits vor Jahren ihren Anfang und wurden ohne kritisches Hinterfragen immer weitergeführt. Offensichtlich war dann – wie der Bericht zeigt – die ab 2018 zuständige Sozialvorsteherin  sowohl fachlich als auch in ihrer Führungsfunktion den Anforderungen nicht gewachsen, die bestehenden Verhältnisse in ordentliche Bahnen zu lenken. Das ändert aber nichts daran, dass auch ihr Vorgänger für die Missstände in der Verantwortung steht, auch wenn sein Beitrag bereits einige Zeit zurückliegt und nicht mehr im Detail abgeklärt werden konnte.

In der Pflicht steht aber nicht nur der Stadtrat, sondern stehen alle Verantwortungsträger, Führungskräfte und Aufsichtsorgane, einschliesslich die Parteien und deren Parlamentsmitglieder. Es ist Aufgabe der Parteien, Personal für das Amt des Stadtrats zu rekrutieren. Stadtratsmitglied ist eine wichtige und verantwortungsvolle Führungsaufgabe: Operativ sind zwar die Verwaltung bzw. Abteilungsleiter zuständig. Doch der Stadtrat hat als Kollektivbehörde die gesamte Führung und damit die gesamte Exekutivverantwortung – diese muss er wahrnehmen, nicht nur für das eigene Ressort, sondern auch generell. Das Stimmvolk geht davon aus, dass die Parteien ihre Kandidatinnen und Kandidaten sorgfältig prüfen und diese sowohl für das Amt geeignet und fähig sind. Auch sollten diese bereit sein, in ihre fachlichen und Führungskompetenzen zu investieren, um der anspruchsvollen Aufgabe gewachsen zu sein. Diesen Anspruch sollten wir alle haben, wenn wir Personen für politische Organe und Behörden nominieren.

Eine wichtige Funktion wird in Zukunft auch die Ombudsstelle haben. Dieser würde es auch auffallen, wenn wieder Probleme auftreten würden. Auch hier haben wir im Bericht gesehen, dass der städtische Ombudsmann in seiner Arbeit richtiggehend blockiert wurde - auch das ist absolut inakzeptabel. Wir sind daher froh, werden wir nun der kantonalen Ombudsstelle angegliedert. Damit diese auch genutzt wird, soll der Stadtrat deren Existenz aktiv kommunizieren, wie dies auch die Spezialkommission fordert, damit die Stelle bei den Betroffenen – Klienten- und Klientinnen sowie Mitarbeitenden – auch wirklich bekannt und erreichbar ist. Wie der jüngste Bericht der Ombudsperson für 2021 zeigt, sind seit den bereits erfolgten Korrekturmassnahmen des Stadtrats erste Verbesserungen festzustellen.

Wir bedauern, dass Klientinnen und Klienten in der Vergangenheit bei ihrem Gang zum Sozialamt und zur Asylbetreuung wiederholt negative Erfahrungen machen mussten. Das angewandte Fehlverhalten kann leider nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wir erwarten und fordern jedoch, dass die im Bereich Soziales betreuten Personen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben künftig gleich, fair sowie mit Würde und Respekt behandelt werden – so wie das für alle Bewohnerinnen und Bewohner gilt, die sich mit Anliegen an die Stadt wenden.

Die Spezialkommission verlangt schliesslich die Berichterstattung zur Umsetzung der empfohlenen Massnahmen zuhanden des Gemeinderats im Rahmen des jährlichen Geschäftsberichts. Wir sind der Meinung, der Stadtrat sollte darüber hinaus von sich aus in regelmässigen Abständen orientieren, welche Schritte er unternommen hat, damit die nötige Transparenz gewahrt wird. Damit könnten auch Interpellationen aus dem Gemeinderat vermieden werden, die sicher zu erwarten sind, wenn nicht ausreichend informiert wird.

Fazit

Die Vorgänge in der Vergangenheit stellen Dübendorf im Bereich Soziales kein gutes Zeugnis aus. So etwas darf daher nicht nochmals geschehen und muss Konsequenzen haben. Mit der Aufarbeitung und dem vorliegenden Untersuchungsbericht soll nun zu diesem leidigen Thema und zur Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen sowie ein Neuanfang gemacht werden. Die Empfehlungen des Untersuchungsberichts und der Spezialkommission begrüssen und unterstützen wir vollumfänglich.

Der Stadtrat ist nun gefordert, diese nicht nur zu prüfen, sondern den ersten wichtigen Entscheiden weitere konkrete Verbesserungsmassnahmen folgen zu lassen. Dies muss unserer Ansicht nach rasch geschehen – das heisst, beginnend noch in dieser Legislatur, damit das Vertrauen in den Bereich Soziales schnellstmöglich wiederhergestellt werden kann.

Man sollte nun den Stadtrat und die Verwaltung aber auch ihre Arbeit machen und dafür sorgen lassen, dass solche Vorfälle in Dübendorf nicht mehr auftreten. Es wäre daher wünschenswert, wenn auch in diesem Plenum zum Thema Soziales wieder Ruhe einkehren und die verbalen Scharmützel der Vergangenheit angehören würden.

Abschliessend möchten wir der Spezialkommission für ihren grossen Einsatz in dieser Sache danken. Wir haben alle den Bericht gelesen und können uns vorstellen, welchen Aufwand die Begleitung dieser Untersuchung für die Kommission bedeutet hat. Dass eine Mehrheit des Gemeinderats bei der Einsetzung der Kommission eine Entschädigung der Kommissionsmitglieder für diese Arbeit abgelehnt hat, finden wir daher bedauerlich und falsch. Zudem möchten wir uns auch beim Stadtpräsidenten bzw. Stadtrat bedanken für diejenigen Massnahmen, die bereits getroffen wurden. 

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.